Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Momente des Glücks, Folge 171

In dieser Ausgabe der Kolumne dem siechenden Jahr nicht ein paar Zeilen hinterherzuschicken fällt schwer. Doch soll es an dieser Stelle nicht um die erhabensten Platten und die großartigsten Konzertmomente gehen, sondern um ein paar Versäumnisse, Kollateralitäten und Nebenschauplätze. Während sich also im Rampenlicht der Jahresabrechnungen die Poll-Sieger und Everbody’s Darlings auf der Center Stage zum großen Gruppenfoto der Pop-Platzhirsche versammeln, soll an dieser Stelle ein zartes Schreibtischlämplein auf die kleinen tollen Ereignisse des Pop-Jahres gerichtet werden.
Hier muss das Konzert der Band The Goon Sax genannt werden, dem Ihr Chronist beizuwohnen die große Freude hatte. Mit dem fein-linkischen Pop, den die Band auf ihrem diesjährigen Album spielt, hatte das Gebotene ausgesprochen wenig zu tun. Stellenweise hatte man den Eindruck, einer von zu viel Alkohol beeinträchtigten Probe einer vor zwei Wochen gegründeten Schülerband beizuwohnen, der es erfreulich viel um Attitüde und erfreulich wenig um technisches Können zu gehen schien. Gibt’s ja gar nicht mehr! Besonders berückend war, dass der Bassist und der Gitarrist nach jedem Stück umständlich Bass und Gitarre tauschten (Ersatzinstrumente waren nicht vorhanden, man ist ja schließlich nicht bei Wilco!) und sich dabei oft aufs Unentknotbarste verhedderten. Auch die Plektren mussten jedes Mal getauscht werden. Einmal fragte die Schlagzeugerin in die Stille zwischen zwei Songs hinein, ob jemand zur Überbrückung vielleicht einen Witz erzählen könne. Immerhin wurde so die Konzertlänge auf eine knappe Stunde gestreckt. Vom Stimmen des Basses wurde abgesehen. Eine Zugabe wurde nicht gespielt. Ganz toll, ich habe sogar ein bisschen geweint.
Zu einem Genre, das vermutlich bloß Ihren ergebenen Kolumnisten interessiert: Wenn Sie sich in diesem Jahr nur eine spiegelglatt produzierte brandneue Italopop-Platte kaufen, durch die der Geist Umberto Tozzis zu tapern scheint, lassen Sie es „Love“, das jüngste Album der Band Thegiornalisti, sein. Einen derart bescheuerten Bandnamen und Albumtitel muss man sich leisten können. Aber wenn Sie keine falsche Angst vor sonnenbebrillten Italienern haben, die beim Herumhantieren mit abgewichstesten Hochglanzpop-Versatzstücken keinen hymnischen Refrain liegen lassen können, dann sind Sie hier goldrichtig.

Eine sehr gute Indie-Platte, die ich in meiner Bestenliste vergessen habe, ist „Pink Is The Colour Of Unconditional Love“, das zweite Album der australischen Musikerin Gabriella Cohen. Ähnlich wie auf ihrer ersten Platte klingt die Frau aus Brisbane (auch die Heimatstadt von The Goon Sax!) einfach zehn Etagen verspulter und schnodderiger als das Gros vieler Kollegen, die ebenfalls das Feld des eklektischen Gitarrenpops beackern. Manchmal könnte man meinen, Courtney Barnett, Devendra Banhart und Adam Green hätten gemeinsam eine heitere Studiosause mit Marihuana-Hintergrund unternommen. Nichts wird ausgelassen: Twang-Gitarren, Torch-Songs, verhallte Chöre, aber auch Kracher für die Indie-Disco wie „Music Machine“.
Das schönste wieder ausgegrabene Stück des Jahres stammt von John Makin & Friends, trägt den Titel „No Lie“ und findet sich auf der Compilation „Uneven Paths: Deviant Pop From Europe, 1980–1991“. Live in einem Brüsseler Nachtclub aufgenommen, klingt das Stück wie der Lo-Fi-Traum eines surrealen Yacht-Pop-Ausflugs. John Makin, der 1972 aus seiner englischen Heimat nach Brüssel auswanderte, sollte sich im weiteren Verlauf seiner Karriere in Mister John umbenennen und mit einem Lied namens „Potverdekke! It’s Great To Be A Belgian!“ einen Nummer-1-Hit landen.
Das Stück, das in diesem Jahr in der Pop-Tagebuch-Zentrale am besten gefiel, stammt aus dem Jahr 2017: Sophia Kennedys „Being Special“. Eine Kathedrale von einem Popsong, wunderbar divanös dargeboten. Das Lied ist so gut, dass es vermutlich auch das beste Stück im Jahr 2019 bleiben wird.