Eric Pfeils Pop-Tagebuch Folge 170: Let There Be Rock mit Quäkstimme und Tequila

Live-Konzerte. Musik im Raum. Körper in Ekstase. Menschen mit Getränken. Ohren am Anschlag. In den letzten Wochen weilte Ihr Chronist auf drei Konzerten, die im Folgenden dokumentiert seien.

The Wave Pictures – Köln, Die hängenden Gärten von Ehrenfeld
Die beste Kneipenband der Welt in der besten Kneipe Kölns – das ist schlüssig. Und hat Tradition: Seit einigen Jahren schon spielen die Wave Pictures aus Wymeswold traditionell zum Jahresende in der freundschaftlich verbandelten Kneipe im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Man sollte das mal erlebt haben.
Die Wave Pictures betreten die Bühne mit emporgerissenen Armen zu AC/DCs „Let There Be Rock“. Schon beim ersten Song wird zweierlei klar. Erstens: Alles, was man Gutes über die Auftritte dieser Band gehört hat, ist wahr und lässt sich in diesem überschaubaren Rahmen womöglich besonders gut nachprüfen. Zweitens: Das Trio hat sich zum Quartett gemausert. Neben der Gitarre-Bass-Schlagzeug-Kernbesetzung ist nun ein Percussionist mit von der Partie, der seine neue Rolle in der Band mit großer Hingabe versieht, dabei aber auch wunderbar als Andy-Kaufman-Double zu ähnlich überschaubarem Ruhm hätte kommen können. Irritierend: Der neue Mann steigert die ohnehin schon fortgeschrittene englishness der Band ins Unermessliche, dabei ist er Amerikaner.
Der Rest ist genau so, wie man es sich erträumt hat, nur schöner: Mit unnachahmlicher Quäkstimme zelebriert David Tattersall in seinen Texten die Unzulänglichkeiten des Daseinstrubels, und immer dann, wenn alles gesungen ist, hebt er zu einem seiner unglaublichen Soli ab. Der Star ist dennoch nicht der vermeintliche Frontmann, sondern der gesamte Klangkörper namens Wave Pictures. Jonathan Richman, die Violent Femmes, der 65er-Bob Dylan, The Jazz Butcher und 245 britische Pub-Bands prosten einander immer wieder in den Liedern der Band zu. Wo hier die Routine des unermüdlichen Spielens aufhört und der genialisch-hemdsärmelige Moment anfängt, ist schlichtweg nicht zu sagen. Zu den zahllosen Höhepunkten zählen der psychotische Beat-Klopper „Stay Here and Take Care of the Chickens“ und das rührende neue „Goodbye Spiderman“. Irgendwann spielt der Chef der Kneipe Bongos. Konzert des Jahres!

L.A. Salami – Aachen, Musikbunker
Weitaus weniger furios gerät der Auftritt des Londoner Songwriters L.A. Salami im Aachener Musikbunker. Das mag nicht zuletzt auch am Austragungsort des Konzerts liegen, der Erinnerungen an AZ-Besuche in den Achtziger Jahren auflodern lässt.
Zunächst ist man einer der seltsamsten Vorbands der letzten 254 Konzertjahre ausgesetzt: The Fake People sind ein Duo, dessen Musik eine Art Kleinkunst-Version gängiger Indie-Spielarten darstellt. Der eine Musiker schaut aus wie Pete Doherty, der sich als Hubert Kah verkleidet hat; immer wieder haut er sich während des Auftaktsongs sein Tambourin gegen den Kopf. Sein Kollege erweckt den Eindruck, als sei er bei der Audition zum Gelegenheits-Gitarristen der Sleaford Mods wegen zu hoher Unzurechnungsfähigkeit durchgefallen. Was hier Indie-Kunstlied und was Varieté-Quatschsong ist, lässt sich nur schwer sagen und ist womöglich auch egal.
L.A. Salami eröffnet dann erst einmal mit einer länglichen Bluesrock-Schwarte, die ältere Anwesende womöglich an frühe Rockpalast-Sendungen erinnern könnte. Salami – das beweist sein jüngstes Album – ist ein mehr als gewitzter Songwriter mit einem Händchen für tolle Pop-Melodien, aber seine etwas zu muskulös aufspielende Band tut ihm nicht besonders gut: Vieles gerät zu schwartig, zu amtlich, zu muckig. Der Mann selbst weiß durchaus zu fesseln, was aber auch daran liegt, dass er in seinem Brokatmantel und mit den abstehenden Dreadlocks wie ein Weihnachtsbaum aussieht. Ein tolles Album. Leider aber kein allzu zwingender Konzertabend.

Giant Sand – Köln, King Georg
Solches lässt sich über das Konzert von Giant Sand im ehrwürdigen King Georg nicht behaupten. Selten durfte man zuletzt eine so sinnstiftend, weil schön-schredderige und so gar nicht an folkloristischem Wohlklang interessierte Version des Konzepts „Americana“ bestaunen.
Das liegt auch am Material: Howe Gelb, der inoffizielle mayor of Tucson, Arizona, und seine beiden Mitstreiter spielen Songs des 1985er Albums „Valley of Rain“ – der Wiedererkennungswert hält sich indes gelegentlich in Grenzen. Das ist genau richtig so: Gelb spielt an diesem Abend wieder mal Rockmusik mit dem Gestus des Jazz-Improvisators. Alleine schon die Art, wie seine tapferen Mitmusiker versuchen, Gelbs musikalischen Launen zu folgen, ist den Eintritt wert. Aber nicht nur in seinen Gitarrensoli geht der Mann auf Entdeckungsreise, auch Texttreue ist nicht eben sein Glas Tequila. „The lyrics to this next song have hidden meanings“, informiert er. „Some of them are still hiding from me.“ Ist das noch Bob Dylan oder schon Helge Schneider?
Apropos Tequila: Der Schlagzeuger der Band zeigt sich in ausgesprochener Feierlaune. Das ist sein gutes Recht, denn er hat Geburtstag. Aus diesem Grund, so ist zu hören, sei die Band bereits am Vorabend ziemlich abgestürzt. Etwaige Angeschlagenheiten sind freilich nicht auszumachen. Im Gegenteil: Gelb sieht mit 62 Jahren blendend aus und das Trio dröhnt aufs Schönste den Raum voll.
Auch der Tequila fließt längst wieder in Strömen – vor allem für den Drummer, dem während des Sets jeder Trinkanlass Recht ist. „More questions?“, fragt Gelb nach jedem seiner surrealen Monologe zwischen den Stücken und scheint seine Augenbrauen heute besonders diabolisch tanzen zu lassen. Am Schluss hat seine Gitarre noch fünf Saiten. „Let’s see, what this thing can do with five strings“, murmelt er vor dem letzten Song. Sein Drummer ordert den achten Schnaps: „For good luck.“