Nachdem sich schon das letzte Tagebuch um das Thema Strände rankte, weilte Ihr Chronist in den letzten Wochen tatsächlich an einem ebensolchen. Zu Forschungszwecken.
Eines Abends wurde in der örtlichen Beach Bar Live-Musik geboten. Die aufspielende Band trug den anbetungswürdigen Namen Amarillo und bestand aus vier jungen Burschen, die, mit kompetent ausgewählten Sonnenbrillen bewehrt, Indie-Hits der letzten 40 Jahre im Garage-Surf-Gewand feilboten. Die Leichtigkeit wehte den jungen Herren nur so aus den Hawaiihemden, selten lauschte man einer Musik, die von aufgeplusterten Künstler-Egos so angenehm befreit wirkte.
Man saß also im Sand, hörte, und mancher dachte sich vielleicht: Das Garage-Surf-Gewand ist ein gar feines, das ruhig öfter aus dem Schrank geholt werden könnte. Manch anderer dachte womöglich: Sollte ich je wiedergeboren werden, dann bitte als Mitglied der Beach-Band Amarillo, von mir aus auch nur als Hi-Hat-Ständer der Beach-Band Amarillo. Und dann gab es vielleicht auch jene, die beim gedankenverlorenen Herumsitzen mit Meerblick auf diese Überlegung stießen: Was nur treibt eine Beach-Band während der Wintermonate? Üben, üben, üben? Sich mit dem in zahllosen Strandhütten erspielten Salär neue Sonnenbrillen kaufen? Auf Indoor-Beach-Parties auftreten?
Der Fall liegt wohl so: Beach Bands sind reine Nebenprojekte. Die Strandmusiziererei dient lediglich dazu, das eigentliche künstlerische Wirken zu nähren. Wahrscheinlich motten die Jungs von Amarillo ihre Hawaiihemden im Oktober ein, klappen die Sonnenbrillen zusammen und arbeiten – wie ganz normale strandferne Bands auch – von kreativem Eifer getrieben an ambitionierten Doppelalben, auf denen sie ihrem hochkomplexen Neo-Prog in beinahe Radioheadscher Ambitioniertheit Trap-Experimente untermischen, derweil ihr Texter in opaker Rätsel-Lyrik virtuos Staat, System und gesellschaftliche Verrohung geißelt.
Der für die Band namenstiftende Amarillo Beach liegt übrigens im östlichen Malibu und hat mit der häufig besungenen texanischen Stadt nichts zu tun. Das prominenteste Lied über Amarillo/Texas dürfte zweifelsohne der Tony-Christie-Gassenhauer „(Is This The Way To) Amarillo“ sein, der 1971 vom Komponistenduo Neil Sedaka und Howard Greenfield verfasst wurde. Dass der Song von Amarillo handelt, ist dabei lediglich dem Umstand geschuldet, dass Textdichter Greenfield eine Stadt finden musste, die sich auf „pillow“ und „willow“ reimt.
Es gibt noch etliche andere Versionen von dem Song. Gleich zwei deutsche Schlagerversionen kamen in den Siebzigern auf den Markt: Zum einen „Ich komm’ zurück nach Amarillo“, das von Roberto Blanco dargeboten wurde. Zum anderen „Verliebt verlor’n in Amarillo“, das dem Ende 2017 verstorbenen Mike Fender (bürgerlicher Name: Wolfgang Rißmann) zu Hitparaden-Ruhm verhalf.
Bis heute wird die Melodie des Songs gern im Umfeld von Fußballspielen intoniert, etwa als Vereinshymne der Bolton Wanderers und der Doncaster Rovers, Tony Christies Lieblingsverein. Auch im Weserstadion war das Lied bereits zu vernehmen. Tony Christie selbst konnte das Stück gleich zweimal in den Charts unterbringen: Im Jahr 2006 wärmte er seinen Hit von 1971 noch einmal auf und ließ den Text in dem Begehr, mit einer schmissigen Fußballhymne sein Heimatland England zu unterstützen, in „(Is This The Way To The) World Cup“ umdichten.
Der weitaus bessere Erfolgssong über Amarillo/Texas stammt von dem Elvis-Soundalike Terry Stafford und trägt den Titel „Amarillo By Morning“. Darin heißt es: „Amarillo by morning/ Up from San Antone/ Everything that I got/ Is just what I’ve got on.“ So kann man auch reimen. Zum Hit wurde das Stück erst in der Version des Country-Traditionalisten George Strait. Der U.S.-Army-Veteran Strait wird von seinen Fans als „King of Country“ bezeichnet. In diesem Jahr wurde er von der Texas Legislative Conference zum „Texan of the Year“ gekürt. Das wird Tony Christie vermutlich nicht mehr gelingen.